Freitag, 3. Mai 2013

Besuch im Lagerhaus G, dem ehemaligen KZ-Außenlager Dessauer Ufer

Zu den Orten, mit denen ich mich während meiner Tätigkeit als Historikerin lange und intensiv beschäftigte, gehört das Lagerhaus G am Dessauer Ufer (heute Dessauer Straße).

Normalerweise ist dieser Ort nicht öffentlich zugänglich, aber ich hatte vor zwei Wochen Gelegenheit zu einer Besichtigung. Heute, anläßlich des 68. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager und des Kriegsendes, nehme ich Dich auf einen Spaziergang durch das Lagerhaus mit - seit dem 7. Mai 2013 ohne Fotos, denn auf nachdrücklichen Wunsch des jetzigen Pächters habe ich die aus dem Speicher-Inneren aus diesem Artikel entfernt.

Der Pächter möchte auch, dass ich diesen Artikel entferne.

Nein.

Geschichte lässt sich nicht entfernen.

Das Lagerhaus G wurde 1903 gebaut und steht seit 1988 unter Denkmalschutz, da es die historische Form der Lagerhaltung außerhalb der Speicherstadt dokumentiert. Das Gebäude hat drei Böden (so heißen die Stockwerke in den Speichern) und ist durch Brandmauern in acht Sektionen gegliedert. 

Blick auf die Fassade mit den landseitigen Luken und
der Winde für den Außenaufzug.
Seit 1997 wird das Lagerhaus u.a. zum Umschlag von Sammelgut genutzt. Hier findet sich ein buntes Sammelsurium an Waren. Vieles macht einen absolut vergessenen Eindruck, wie dicke Staubschichten verraten. Es ist ein Ort, der ein wenig surreal anmutet, ein wenig aus der Welt gefallen ist. 

Im Lagerhaus G befand sich zwischen 1944 und 1945 eines der über 80 Außenlager des KZ Neuengamme. Die Außenlager des KZ Neuengamme erstreckten sich über Nordwestdeutschland bis hin zur britischen Kanalinsel Alderney.   

Eingang in einen der Kellertrakte.
Zwischen Juli und September 1944 waren in den Kellerräumen des Speichers 1.500 Jüdinnen aus den Lager Auschwitz-Birkenau und dem Ghetto Łódź untergebracht.

Eine von ihnen war die Hamburgerin Cecille Landau (heute Lucille Eichengreen), Tochter polnischer Eltern. Die 16jährige wurde nach der Ermordung ihres Vaters im KZ Dachau mit ihrer Mutter und ihrer 12jährigen Schwester ins Ghetto Łódź verschleppt. Dort starb die Mutter durch Verhungern. Kurze Zeit später wurde Landaus Schwester in das Vernichtungslager Chelmo deportiert und ermordet.

Landau kam über das KZ Auschwitz in das Lager am Dessauer Ufer, wo die Frauen im Rahmen des so genannten Geilenberg-Programms nach Bombardierungen Aufräumarbeiten für die Mineralölindustrie (u.a. Rhenania Ossag (Shell) und Ebano-Oehler (Esso)) leisten mussten. 

Die Arbeit war körperlich sehr anstrengend und gefährlich. Hinzu kamen unzureichende Kleidung, mangelnde Ernährung, Hygiene oder medizinische Versorgung (zum Beispiel von Blutvergiftungen, die häufig vorkamen und zum Tode führten) sowie sexuelle Übergriffe durch das Wachpersonal. Die Keller, in denen die KZ-Häftlinge untergebracht wurden, waren zudem nicht zum Wohnen gedacht. Sie standen (und stehen) teilweise unter Wasser, sind unwegsam, klamm, feucht und stockfinster. Teilweise sind sie nur durch sehr steile Stiegen zu betreten.

Einige Frauen kamen schwanger im Lager an und brachten hier bzw. im benachbarten Speicher F ihre Kinder zur Welt. Sie und die Neugeborenen hatten kaum Überlebenschancen, wie Kindergräber auf dem Ohlsdorfer Friedhof zeigen.

Mitte September 1944 schließlich wurden die Frauen auf drei andere Hamburger KZ-Außenlager verteilt. Landau kam im März 1945 nach Bergen-Belsen, wurde dort befreit und emigrierte in die USA, wo sie heute lebt.

Zwei Tage nach der Verlegung der Frauen kamen 2.000 männliche KZ-Häftlinge in die Keller. Bewacht von zur SS abgeordneten Zollbeamten, wurden sie in verschiedenen Firmen im Hafen eingesetzt oder hoben bei Hittfeld Panzergräben aus.

Nach der weitgehenden Zerstörung während eines Bombenangriffs, der etwa 150 Tote forderte, wurden die Überlebenden in das KZ-Außenlager Fuhlsbüttel verlegt. Die Einsatzortde der KZ-Häftlinge änderten sich nicht.

Stolperstein vor dem Lagerhaus G in der Dessauer Straße.
Zwischen Februar und April 1945 wurden nochmals 800 männliche KZ-Häftlinge in den Kellern des zerstörten Speichers untergebracht, nachdem sie ihr Gefängnis notdürftig herrichteten. Zwei von ihnen, russische Juden, hinterließen ein Lebenszeichen im feuchten Zement.

Mitte April 1945 wurden die Männer in das Lager Sandbostel transportiert.

An die NS-Vergangenheit des Lagerhauses G erinnern heute eine Gedenktafel und ein Stolperstein für Margarethe Müller, die mit ihren Töchtern Nina und Melitta in das KZ-Außenlager Dessauer Ufer kam und hier an den Folgen einer Blutvergiftung starb. 

Bis Sonntag erinnern eine Reihe von Veranstaltung an die Befreiung Hamburgs vom Nationalsozialismus. Einen Überblick gibt es hier.

Bücher zum Thema:


3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Gelegenheit, diese seltenen, bedrückenden und aufklärenden Bilder und Texte sehen zu dürfen.

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  2. Vielen Dank für den Einblick. Solche Orte sind immer sehr beklemmend, und es ist so wichtig, dass ihre Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. Ich selbst bin in der Nähe des KZ Flossenbürg aufgewachsen; jetzt wohne ich in München; Dachau ist nicht weit....

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  3. Danke, dass du diesen Artikel geschrieben hast und dich nicht verbiegen lässt. Manchmal möchte ich weinen, so schäme ich mich für Jene, denen am Vergessen und Vertuschen gelegen ist. Gerade in diesen Tagen, wo Nazis kokett in die Kameras blinzeln, während ihnen der Prozess gemacht wird, darf unsere Geschichte nicht dem Verschwinden anheim gegeben werden.

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