Mittwoch, 29. April 2015

Rezension: Claire Hajaj "Ismaels Orangen"

Ismaels Orangen (Front-Cover)Wer so alt ist wie ich, für den sind "Jaffa" und "Orangen" quasi synonym. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Orangensorte in der Hafenstadt Jaffa für den Export angebaut. Die leuchtend orangenen Früchte kamen in Holzkisten, später in Pappkartons, in alle Welt.

Eine Zeitlang arbeiteten Juden und Araber im britischen Mandatsgebiet Palästina gemeinsam in Anbau und Export der Jaffa-Orangen, wurden die Früchte zu einem Symbol positiver arabisch-jüdischer Beziehungen. Damit war spätestens mit dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg Schluss. 1950 enteignete der israelische Staat alle Palästinenser, die während des Krieges flohen.

Heute finden sich bei Jaffa keine Orangenhaine mehr, werden die Früchte dort nicht mehr angebaut.

Die Geschichte einer der Familien, die durch den Israelischen Unabhängigkeitskrieg aus Jaffa vertrieben wurde, schildert das Buch "Ismaels Orangen" von Claire Hajaj. Der Vater vom Protagonisten Salim besaß Orangenhaine. Wie für seine Brüder auch, wurde zu Salims Geburt ein Orangenbaum im elterlichen Garten gepflanzt. Im April 1948 freut sich der Siebenjährige darauf, zum ersten Mal die Früchte seines Baumes ernten zu dürfen.

Doch der Krieg bricht aus und treibt die ganze Familie in die Flucht, an der die ohnehin brüchige Ehe von Salims Eltern zerbricht. Der Versuch, den Grundbesitz in Jaffa wiederzukommen, scheitert. Die einstmals wohlhabende Familie verarmt. Salim geht zu seinem älteren Bruder nach London und nimmt ein Studium auf.

Zur selben Zeit wächst Judith als Tochter von Holocaust-Überlebenden in England auf – und sehnt sich danach, irgendwann ein normales und glückliches Leben führen zu dürfen. Als Salim und Judith sich im London der Sechzigerjahre begegnen und ineinander verlieben, nimmt das Schicksal seinen Lauf und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe. Angeregt durch seinen jüngeren Bruder, den die Mutter mit nach Beirut nahm, wird ein Traum in Salim geweckt: Eines Tages zu seinem Baum zurückzukehren und im Land seiner Väter zu leben.

"Ismaels Orangen" ist beeinflusst und inspiriert durch die Familiengeschichte von Claire Hajaj: Sie ist die Tochter einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters, wuchs in England und im Nahen Osten auf. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer vierjährigen Tochter in Beirut, wo beide für die Vereinten Nationen arbeiten.

Claire Hajaj schildert die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Salim und Judith und erzählt sehr warmherzig, so dass die Leserin sich in beide Charaktere sehr gut hineinversetzen, für beide Sympathien entwickeln kann. Rasch wird deutlich, dass Juden und Araber durchaus mehr gemeinsam haben, als sie sich oft eingestehen mögen.

Ebenfalls wird deutlich, dass Judith und Salim gesellschaftlich zwischen allen Stühlen sitzen, dass ihre Beziehung nicht in das beschränkte Schubladendenken vieler Menschen passt. Das Paar stößt also nicht nur in der eigenen Familie auf Widerstand, wobei die sich teilweise leichter überwinden lassen als die Abneigung von Kollegen, worunter insbesondere Salim leidet. Aber auch die Kinder tragen schwer am elterlichen Erbe.

Hajaj erzählt warm, herzlich und bunt, mit Pathos und Empathie. Es gelingt ihr, die Leserin in die Welt des Nahen und Mittleren Ostens mitzunehmen. Aus dem Buch atmet der Duft von Orangenblüten, weh eine kühle Meeresbrise, glüht der Wüstensand. Auch wenn das Buch streckenweise Längen hat, bereitet es großes Lesevergnügen.

Vielen Dank an Blogg Dein Buch und Blanvalet für das Rezensionsexemplar.

Verlagsangaben: Claire Hajaj / Ismaels Orangen / Roman / Originaltitel: Ishmael's Oranges / Aus dem Englischen von Karin Dufner / Deutsche Eerstausgabe / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag / 448 Seiten / ISBN: 978-3-7645-0516-5 / € 19,99 / Verlag: Blanvalet

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